Johann Martin Schleyer        Perlen der Himmelskrone Mariens

1831 – 1912                                        aus Lobsprüchen heiliger Seelen gewunden

 

 

Willst du wissen, welche Seele

Ohne Makel, ohne Fehle

Aller Perlen reinste Schöne

Mit dem höchsten Prachtschmuck kröne:

Schau zum Sternendom, zum blauen

Auf, zum Urbild der Jungfrauen!

Schau mit lauterm Engelsinn

Hin zur Engelkönigin!

 

 

I.

Du auserwählte Tochter des ewigen Vaters!

(St. Justin.)

 

Am reinsten Liebebusen sah’n Aeonen,

Sah’n sel’ge Geister einst vor allen Zeiten

Dort in des Himmels unermess’nen Weiten

Den ew’gen Sohn beim ew’gen Vater thronen.

 

Doch unter all den klaren Aetherzonen,

Die endlos ihren Wonneglanz verbreiten,

Sah’n sie noch keine Himmels-Tochter kleiden

Sich in das Goldgewand der Mächte, Thronen. –

 

Da zuckt ein Lichtstrahl, dunkle Geister scheuchend,

Hoch aus dem Vaterhaupte voll Ideen,

Hoch aus der Wolkenstirn des Allberaters:

 

Und flieh’, wie Pallas einst, dem Haupt entsteigend

Des Vaters Zeus, bejubelt ward in Höhen:

So hallet Preis der Tochter Gott des Vaters.

 

 

 

II.

Du Quelle der Menschheit Gottes des Sohnes!

(St. Method.)

 

Der Weiheit Lichtstrom, tief zur finstern Erde

Will strömen Er, zur wüsten, zur unreinen,

um neu im Gnadenstreiche zu vereinen

Was Sündennacht einst schied vom Lichteshheerde.

 

Doch flieh’, das Lichtmeer, das die Geister nähret:

Als Bächlein will es rieseln her zur kleinen,

Entweihten Erd’, ein Kind in Binden weinen,

Nur so entsühnen, was die Schuld entehrte. –

 

Nun sagt, ihr Geister, uns: wo ist die Quelle

Zu finden, die in ungetrübter Helle

Herab von klaren Höh’n des Sternenthrones

 

Dies Licht uns sende, das uns rettend leuchte,

Das dort die Finsternis zum Abgrund scheuchte?:

Sie ist’s, der laut’re Herzquell Gott des Sohnes.

 

 

 

III.

Du Wohnsitz des heiligen Geistes!

(St. Hieronym)

 

Des Vaters Lichthaupt schauen hehr umschweben

Die Jubelgeister Ihn, den Geist der Wonne,

Der Lieb’ und Wahrheit; dann zum ew’gen Sohne,

In seines Busens Heiligtum sich heben,

 

In jenes Liebecentrum, dem das Leben

Des Alls so reich entquoll; in jene Sonne,

Die Licht entsendet bis zur fernsten Zone,

Wo Welten noch die Sphärennetze weben.

 

Hier konnte ruh’n der Geist der ew’gen Wahrheit. –

Doch nein, auch im Geschöpf sucht Er die Stätte,

Wo weilen soll im Weltenflug sein Fittig.

 

Er fand sie. Wo?: Im Herzen reinster Klarkeit,

Das lieblich blinkt in silberklarer Glätte:

Im Jungfraubusen, ach, so keusch, so sittig!

 

 

 

IV.

Du Lustgarten des ewigen Vaters!

(Chrysipp.)

 

Die Sonnenglut der Flammenlieb’ zu mindern,

Will pflanzen sich die Minne einen Garten,

Wo sie im Schattenhaine unter zarten,

Liebholden Blüten sich ergeht, zu lindern

 

Der Mittagsstrahlen Pfeile. Seht, bei Kindern

Der Menschen: wo sich Lieb’ und Unschuld paarten,

Wo Reinheit, Einfalt Edenswonne wahrten:

Da findet ihre Lust sie, fern von Sündern. –

 

Doch sagt mir, Welten all! wo zu erspähen

Wohl ist ein solch entzückend Lustgefilde,

Wo wir die Urlieb’ selbst lustwandeln sähen?

 

Wo aller Himmelsblumen Prachtgebilde

Ambra verhaucht in linden Zephyrs Wehen? --:

Maria nennt sich’s, Jungfrau süß und milde.

 

 

V.

Du getreueste Ernährerin Christi!

(St. Wilhelm.)

 

Ein Himmelslämmlein will auf Erden weiden.

Zu eng sind Ihm des weiten Himmels Auen,

Wo Sterne zahllos zieh’n am hehren, blauen

Prachtdom des Aethers. Seht doch, Engel neiden

 

Die Blumen all, die Lilien, die beschreiten

Des Lämmchens Füße. Demanttröpfchen tauen

Dort Gnadenbäche nieder auf den grauen,

Den dürren Sand, wo seine Tritte gleiten. –

 

„O dürfte ich dies süße Lämmchen nähren!“

So hör’ ich Schäferinnen tausend flehen,

Die leider, ach! des Lilienschmucks entbehren. –

 

Nur Eine ist’s, die wir es laben sehen

Mit Liliensaft und Milch und Honigbeeren:

Die Geisterhirtin dort in Sternenhöhen.

 

 

 

VI.

Du Heiligtum des göttlichen Geises!

(St. Ildephons.)

 

Der höchsten Himmel Lichtthron, zu alltäglich

Ward er dem Geiste, Den nicht Welten fassen:

Dem auch Atome groß, und kleinlich Massen

Erscheinen, gegen die selbst Sonne kläglich,

 

Ach, winzig klein sich zeigen. Unaussprechlich

Zieht es den Liebegeist zur Demut. Hassen,

Nein, kann Er nur des Stolzes freches Prassen.

Die schlichte Einfalt minnet er unsäglich.

 

Und nun, welch Herz wählt Er zum Heiligtume

Sich aus, das seinem hehren Glanz entspräche?

Das demutvoll der Gnaden Schätze häufte?

 

Des Feindes Übermut in Einfalt bräche? –

Maria birgt’s, die gnadenüberträufte,

Maria, sie, der Erde schönste Blume.

 

 

 

VII.

Du unbefleckte Pforte des Schöpfers!

(St. Sedulius.)

 

Des Wettersturmes wildentbranntes Grollen

Hat ausgetobt. Schon lächeln blau die Höhen;

Schon säuselt wieder linden Windes Wehen.

Verstummet ist des dumpfen Donners Rollen.

 

Wo kurz noch erst der Blitze Zorn erschollen,

Ist nun des Farbenbogens Pracht zu sehen,

Der sich zur Pforte wölbt in Sternennähen,

Durch die jetzt weiße Wolkenschäfchen trollen. –

 

Des Himmels Groll verhallt. Der Weltengründer

Steigt als Erlöser nieder, arme Sünder

Mild umzuwandeln in des Vaters Kinder.

 

Er naht. Wie rein! Schon glänzt sein Friedensbogen.

Durch welche Lichtespfort’ Er wohl gezogen,

Daß so der Fürst der Nacht sich sah betrogen?! –

 

 

 

VIII.

Du heiligster Tabernakel des Wortes!

(St. Andreas Cretens.)

 

Wie schmückest Du, o Gottesdiener Moses!

Mit Goldeszier, mit Edelstein und Seide,

Den Engelschaaren selbst zur Augenweide,

Das erste Zelt des Herrn, ein heilig großes! –

 

Gewiß! das Pfand des irdisch höchsten Loses:

Wert ist’s, daß uns die Hölle drum beneide. –

Doch sagt, was dient dem Worte selbst zum Kleide,

Zum würdigen, im Zelt des heil’gen Schoßes? –

 

Sind Gold und Seide, Perlen, Edelsteine

Wohl für die Gottheit selbst die würdige Hülle,

Wenn sie zum Erdball steigt, die maßlos reine? –

 

O nimmer! – Nur das Herz, das Gnadenfülle

Süß überströmt, Mariens Herz alleine,

Es ist der Gottheit Zelt, das selig stille.

 

 

 

IX.

Du Zither des heiligen Geistes!

(St. Bonaventura.)

 

O welche Harmonie in jenen Sphären

Wo Welten gar so friedlich um sich kreisen,

Wo himmlisch süße, wunderbare Weisen

Erhab’nen Sangs ertönen in den Heeren

 

Glücksel’ger Geister! Was noch könnte mehren

Die Luft der Sänger, die sich dort befleißen,

Im reinsten Lied den Herrscher hoch zu preisen,

In reichen, ach, in zaubrisch vollen Chören?! –

 

Doch nein, noch sind nicht rein genug die Saiten

Dem Geist gestimmet, dem sogar der Himmel

Nicht rein genug erschien. – Die einzige Zither,

 

Die einzig lauter Ihm die süßen Lieder

Je wiedergab: man rühmt im Klanggewimmel

Sie – Harfe Davids, dran sich Himmel weiden.

 

 

 

X.

Du Prachtwohnung der göttlichen Herablassung!

(St. Andreas Cret.)

 

Wohl schreiten Herrscher auch zur Köhlerhütte,

Wenn Jagdlust sie im Dickicht irre führte,

Doch keiner gern sich eine Hütt’ erkürte,

In der nicht herrschte traulich schlichte Sitte;

 

In der nicht Reinheit thronte selbst in Mitte

Der Armut, die so hold stets Einfalt zierte.

Wo diese, da bedarf’s nicht Reichtums-Bürde,

Will Hoheit weg vom Tande zieh’n die Schritte. –

 

Im Liebeseifer jagend nur nach Seelen,

Hat sich so gerne einst zur Erd’ verirret

Des Weltalls Fürst, sich innig zu vermählen

 

Der schönsten Braut. Doch ob sich auch verlieret

In Wüsten hin sein Pfad; es kann nicht fehlen:

Zur reinsten Hütte nur der Fuß Ihn führet.

 

 

è 11-20